KURZBESCHREIBUNG

Geplanter Freilandversuch der Bayerischen Landesanstalt für Bodenkultur und Pflanzenbau, Freising, für die Jahre 1999-2007 mit gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen, die eine amylosefreie Stärke produzieren

Der natürliche Rohstoff Stärke bietet als Biopolymer sowie als Ausgangsprodukt für chemische oder enzymatische Modifikationen eine Vielzahl industrieller Anwendungen. Wegen dieser vielfältigen Möglichkeiten kommen Stärke und Stärkederivate daher sowohl im Nahrungs(Lebensmittelindustrie) als auch im Nichtnahrungsbereich (Papier-, Baustoff- und Textilindustrie, chemische und pharmazeutische Industrie) zur Anwendung. Dabei ist es in vielen Fällen von Vorteil, eine der beiden Komponenten der Stärke, die aus der wenig verzweigten linearkettigen Amylose und dem hoch verzweigten Amylopektin besteht, als reines Ausgangsmatehal einzusetzen.

Die Trennung der beiden Stärkekomponenten, die sich in Form von Stärkekörnern ("granules") in den stärkespeichernden Organen von Pflanzen ablagern, ist nur mit einem erheblichen technischen Aufwand und Energiebedarf durchführbar und führt gleichzeitig zu einer hohen Abwasserbelastung. Daher hat die Industrie zur Gewinnung von Amylopektin auf durch klassische Züchtung erhaltene Mutanten (waxy-Mutanten) von Stärkepflanzen wie Mais oder Gerste zurückgegriffen, bei denen die Bildung der Amylose ausfällt. Das Waxy-Gen kodiert für das amylosebildende Enzym "Stärkekorn-gebundene Stärkesynthese" (granule-bound starch synthase, GBSS). Auch für die Kartoffel hat die klassische Züchtung GBSS-Mutanten erzeugt, die den waxy-Phänotyp aufweisen. Dieser Aufwand war allerdings ungleich größer als bei Mais oder Gerste, da die konventionellen Kartoffelsorten tetraploid, d. h. mit dem vielfachen Chromosomensatz ausgestattet sind. Da die waxy-Mutation rezessiv ist, mußten mit Hilfe von Selbstungen alle 4 Kopien des Wildtyp-Waxy-Gens durch das mutierte waxy-Gen ersetzt werden. Ein negativer Effekt solcher ingezüchteten homozygoten Linien ist der stark reduzierte Ertrag. Somit waren die erhaltenen tetraploiden Linien ohne wirtschaftliche Bedeutung.

Eine andere Möglichkeit, Gene zu inaktivieren, beruht auf der Bildung von antisense-RNA, ein Vorgang, der auch in natürlichen Systemen abläuft. Die Biosynthese eines von einem bestimmten Gen kodierten Proteins (so z. B. eines Enzyms) kann dadurch verhindert werden, daß eine dem Sinn-(sense-)Strang komplementäre (antisense) RNA gebildet wird, die mit der sense-mRNA einen stabilen RNA/RNA-Doppelstrang bildet und so die Proteinbiosynthese verhindert. Dadurch kommt es zur Verringerung bis zum völligen Abschalten der betreffenden Genaktivität.

Die antisense-Methode wird für das GBSS-Gen der Kartoffel seit längerer Zeit angewandt. Die ersten Versuche hierzu (mit Hilfe einer zur MRNA komplementären DNA (cDNA), die in antisense-Orientierung stabil in das Genom der Kartoffel integriert worden war) stammen aus dem MPI für Züchtungsforschung in Köln und sind von einer holländischen Arbeitsgruppe und schließlich vom Institut für Genbiologische Forschung (IGF) in Berlin bis zu Freilandversuchen fortgeführt worden. Im Unterschied zu den von der IGF in den Jahren 1993 und 1994 durchgeführten Freilandversuchen mit amylosefreien Kartoffeln wird zur Herstellung der in diesem Versuch verwendeten transgenen Kartoffellinien ein aus der Kartoffelsorte Granola isoliertes genomisches Fragment des GBSS-Gens (genomischer Klon G1) verwendet. Das entsprechende Genkonstrukt pWx1/ul-asGBSS ist im Labor von Prof. Dr. W. Rohde (MPIZ Köln) erstellt worden. Ein nahezu identisches Transgen kam bereits 1998 im genehmigten Freisetzungsversuch der Firma BIOPLANT (Ebstorf) zum Einsatz, die die transgenen Stärkesorten Ponto und Tomensa entwickelten. Dort hatte das in analoger Weise konstruierte Transgen den Granola-GBSS-Kion G28 zur Grundlage (ebenfalls Labor Rohde). Im Unterschied zu G28 fehlen in G1 142 Basenpaare (bp) aus der Promotorregion, was aber funktionell bedeutungslos bleibt.

Für die vorgesehenen Freilandversuche wurden transgene Kartoffellinien der kommerziellen Stärkesorten Walli, Patrona, Pallina, Panda, Indira, Ute, Ulme erzeugt. Deren GBSS-Genaktivität wird durch das erwähnte, in antisense-Orientierung eingebrachte, 581bp lange, genomische GBSS-Genfragment (asGBSS) inhibiert, welches unter der transkriptionellen Kontrolle des ebenfalls aus Kartoffel klonierten GBSS-Promotors (pWx) steht. Die regulatorische Terminatorregion entstammt dem Genom des Blumenkohlmosaik-Virus (caufiflower mosaic virus, CAMV). Die Konstruktion des Transgens ist ausführlich in der Dissertation Kuli (1995), dort heißt das Konstrukt pF4, und im Freisetzungsantrag der Firma BIOPLANT(1997) beschrieben, die das Transgen mit pWxlul-asGBSS bezeichnet. Zum Zweck der effizienten Transkriptionsinitiation besitzt es den Original-Transkriptionsstart und die umgebenden Sequenzen des GBSS-Gens, die die untranslatierte "leader"-Region (untranslated leader, ul) beinhaltet. Damit ist die Regulation der Transkription identisch mit der des zu inaktivierenden GBSS-Wildtypgens, wodurch eine optimale Feinregulierung der antisense-Inhibierung gewährleistet ist.

Das Genkonstrukt wurde durch bekannte gentechnologische Methoden in die T-DNA-Region eines binären Vektors (pBIN-Derivat, Plasmid, Agrobacterium-Transformationsvektor) eingebracht und in einen Stamm des Bodenbakteriums Agrobacterium tumefaciens übertragen. Durch Agrobacteriurn-vermittelten Gentransfer wurde das Gen stabil in das Kartoffelgenom integriert.

Neben dem asGBSS-Gen wurde auch das auf der T-DNA gelegene NPTII-Gen ("Selektionsmarker") übertragen, das ein selektives Wachstum transformierter Kartoffelzellen auf Kanamycin-haltigem Medium ermöglicht. Die durch Regeneration erhaltenen transgenen Kartoffellinien, die weder in der Chromosomenzahl (flowcytometrisch getestet) noch im Phänotypus Veränderungen gegenüber der nichttransformierten Wildtypsorte aufwiesen, wurden an Hand von in vitro- oder Gewächshausknollen durch Anfärbung mit Jod (Lugol'sche Lösung) histochemisch bzw. durch spektrophotometrische Bestimmung auf die Abwesenheit von Amylose getestet.

Für so selektierte amf-Kartoffeln wird ein Antrag für Freisetzungsvorhaben nach dem Gentechnikgesetz gestellt. Folgendes Arbeitsprogramm soll in den Jahren 1999 - 2007 durchgeführt werden: Vordringliches Ziel der Freilandversuche ist die Analyse der Stabilität des amf-Phänotypes. In darauffolgenden Jahren erfolgen Leistungsprüfungen, in denen auch Erträge ermittelt werden. Für Untersuchungen, bei denen unterschiedliche Umweltbedingungen einfließen sollen, sind mehrere Standorte notwendig. Es ist geplant dazu in den folgenden Jahren getrennte Freisetzungsanträge zu stehen.

Im Jahr 1999 sollen am Standort Freising, in der LBP-eigenen Flur Gereut, die drei Stärkesorten Walli, Patrona und Ute mit insgesamt 200 unabhängig erzeugten transgenen Linien (7-10 Saatknollen pro Linie) angebaut werden, wobei die Saatknollen im Gewächshaus erzeugt wurden. Zusätzlich sollen von 7 ausgewählten Linien jeweils 200 Knollen ausgelegt werden. Die Ernte dieser Versuchseinheit wird nach industriellen Maßgaben auf verschiedene Stärkeparameter geprüft. Insgesamt kommen damit maximal 3400 GVOs (transgene Saatknollen) 1999 zum Anbau. In den folgenden Jahren werden auch die weiteren beantragten amf-Sorten angebaut. Pro Sorte und Jahr sollen dabei nicht mehr als 2400 GVOs aus maximal 100 Linien im Freiland ausgepflanzt werden. Die Pflanzdichte wird etwa 5 Knollen/ m betragen. Als Kontrollpflanzen sowie als Randstreifen des Versuchsfelds dienen nichttransformierte Kartoffeln der entsprechenden Sorten.

Pflanzenlinien, die einen stabilen gentechnisch verbesserten Phänotyp zeigen, sollen als neues Zuchtausgangsmaterial in aktuelle Zuchtprogramme Eingang finden. Aus Kreuzungen im Gewächshaus resultierende Nachkommen sind ebenfalls Kandidaten für Freilandversuche im Rahmen der beantragten Freisetzungen.

Die Durchführung der Versuche ist für die Zeit von April bis Oktober 1999-2007 geplant. Die Kartoffelpflanzen werden entsprechend den in der Landwirtschaft üblichen Methoden angebaut. Es wird eine Fruchtfolge auf den Flächen eingehalten, die gewährleistet, daß Kartoffeln frühestens alle drei Jahre zum Anbau kommen. In den Zwischenjahren erfolgt entweder Brache oder es wird ein Pflanzenspezies angebaut, die das Monitoring eventuell auflaufendes Kartoffelpflanzen erlaubt. Bis zum nächsten Kartoffelfeld wird ein Abstand von mindestens 20m eingehalten.

Um eine erfolgreiche Durchführung des Versuchs zu gewährleisten, werden phytosanitäre Maßnahmen durchgeführt, die optimale Ernteerträge ermöglichen. Da die transgenen Test- und die Kontrollpflanzen im Verlauf des Versuchs zur Blüte kommen, ist ein Ansatz von Früchten (Beeren) möglich. Für den Fall, daß im Folgejahr Kartoffelpflanzen auskeimen, werden diese chemisch oder mechanisch abgetötet. Das Kartoffelkraut wird nach Beendigung des Versuchs bzw. nach der Ernte untergemulcht.

Bereits vor der eigentlichen Ernte können einzelne Knollen entnommen und in eine gentechnische Anlage überführt werden, um frühzeitig die Bildung Amylose-freier Stärke zu überprüfen. Die Ernte der Knollen erfolgt maschinell oder von Hand. Die geernteten Knollen werden zum Teil a) am Freisetzungsort im S1-Labor auf veränderte Stärkefraktionen hin quantitativ analysiert, b) am Freisetzungsort bei 4 'C gelagert, um diese Knollen als Pflanzgut im nächsten Jahr auszubringen, c) in eine industrielle Anlage überführt, in der durch geeignete Methoden Stärke extrahiert und technischen Qualitätsprüfungen unterzogen wird. Nicht benötigte Knollen werden durch geeignete Methoden inaktiviert.

Die für den Freilandversuch bestimmten Pflanzen zeigten Im Gewächshaus keine Gestalt- oder sonstigen Habitus-Veränderungen. Die Pflanzen unterscheiden sich vom Ursprungstyp lediglich in der Zusammensetzung der Stärke. Stärke ist pflanzenphysiologisch gesehen das in ein osmotisch unwirksames Endprodukt der Pflanze umgewandelte Endprodukt der Photosynthese. Es ist nicht bekannt, daß eine veränderte Stärkezusammensetzung Einfluß auf die Energiebilanz der Pflanze hat. Nettoaufbau und -abbau sollten weiterhin unverändert verlaufen. Auswirkungen auf die Fitness der Kartoffelpflanzen sind daher nicht zu erwarten. Auch gibt es keinerlei Hinweise, daß der Freilandversuch mit ökologischen Risiken behaftet ist.

Die Kartoffel wird in Europa seit 1570 angebaut und hat bis heute keine Tendenz zur Verunkrautung gezeigt. Die Pflanze ist in Europa nicht in der Lage, sich außerhalb der landwirtschaftlichen Anbaufläche zu etablieren.

Studien zur Oberlebensfähigkeit nicht veränderter und solcher Kartoffellinien, die durch die gentechnische Veränderung Resistenz gegen das Antibiotikum Kanamycin erworben hatten, zeigen, daß dies keinen Selektionsvorteil verschafft, der die Ausbreitungseigenschaften des GVO gegenüber dem Ursprungstyp verändert.

Die Kartoffel ist hauptsächlich selbstbestäubt, viele Linien zeigen eine geringe Fertilität, so daß die Vermehrung von Kartoffeln hauptsächlich vegetativ über die Knollen erfolgt. Die Reichweite des Pollens beträgt weniger als 20m. Untersuchungen der Auskreuzung von Selektionsmarker-Genen gentechnisch veränderter Kartoffelpflanzen auf unveränderte Sorten zeigten, daß eine Übertragung des Fremdgens bei direkter Nachbarschaft der Pflanzen bei Distanzen über 10 m nicht mehr nachweisbar ist.

Eine Übertragung von Fremdgenen auf mit Kartoffel kreuzbare Wildarten muß in den Ursprungsgebieten der Kartoffel (Bolivien, Peru) für möglich gehalten werden. Die in unseren Breiten vorkommenden Wildspezies Solanum dulcamara (Bittersüß) und Solanum nigrum (Schwarzer Nachtschatten) sind mit Solanum tuberosum nicht kreuzbar bzw. bilden keine lebensfähigen Hybride. Zu den in Europa angebauten Kulturarten der Solanaceae gehört neben der Kartoffel (Solanum tuberosum ssp. tuberosum) auch die Tomate (Lycopersicon esculentum), die aber ebenfalls mit der Kartoffel nicht kreuzbar ist.

Die gentechnisch veränderten Pflanzen stellen somit kein erkennbares ökologisches Risiko dar, sondern tragen vielmehr dazu bei, Umweltbelastungen durch geringer mit Chemikalien belastete Abwässer, sowie durch niedrigeren Energieaufwand bei der Stärkegewinnung zu reduzieren.

In Holland ist bereits eine transgene Kartoffel, die amylosefreie Stärke bildet, unter dem Namen "Apriori" in das nationale Sortenverzeichnis aufgenommen worden.

Das Freilandexperiment wird durch den Projektleiter überwacht. Am Standort ist eine regelmäßige und fachkundige Betreuung gewährleistet. Die Erfassung unerwarteter Ergebnisse wird durch regelmäßige Beobachtung des Versuchsfeldes gesichert. Bei Eintreten unvorhersehbarer Entwicklungen kann der Versuch jederzeit durch eine Vernichtung der Pflanzen abgebrochen werden. Hierzu eignen sich bewährte pflanzenbauliche Maßnahmen.